Magnus Thorén: The Slow Within

Übersicht
Materie im Zwielicht
Magnus Thoréns phantomhaft oszillierende Malerei

 

Wie aus einer fernen Galaxie heran gebeamt glimmen sie als Leuchtkörper auf und drohen sogleich im nächsten Moment wieder zu verglühen. Mehr Lemuren als leibhaftige Lebewesen aus Fleisch und Blut treten Magnus Thoréns vage Figurationen aus dem ohnehin dünnhäutigen malerischen Fonds seiner Bilder hervor. So unwirklich ihr Erscheinungsbild vor Augen tritt, so ätherisch fällt auch ihre malerische Hülle aus: Beine, Hände, Partien von Gesichtern zeichnen sich vereinzelt derart fragmentarisch und diffus ab, als rührten sie von den Langzeitbelichtungen der sogenannten Geisterfotografie respektive Daguerrotypie im 19. Jahrhundert her. Irisierende Flecken flimmern über die Oberfläche und zehren wie punktuelle Brandherde zusätzlich das körperlich schwer Fassbare auf. Thoréns zwischen Gegenständlichem und Abstraktion oszillierende Malerei hat wahrnehmungsphänomenologisch etwas von Nachbildern an sich, wie sie sich etwa beim direkten Blick in das Sonnenlicht oder zu monotonem Blick auf Farbflächen einstellen.

 

Man könnte auch meinen, dass die an sich unsichtbare „Aura" von Wesen mit einem Mal de facto retinal nachvollziehbar werden, wäre der Begriff des Auratischen nicht durch esoterische Heilsversprechungen zu sehr in seiner eigentlichen metaphysischen Bedeutung verstellt. Magnus Thorén ist mitnichten an spiritistischem Hokuspokus interessiert. Er beschwört vielmehr die Transgression von Seinszuständen, die Verflüchtigung und Verflüssigung von Materiellem, die Übergangs-riten von der irdischen Existenz zu kosmo-logischen, astronomischen Konstellationen. Entsprechend allegorisch verschlüsselt umschreibt Thorén selbst seinen malerischen Durchdringungsprozess: „Die Schlange entledigt sich ihrer Haut und kriecht den Highway entlang, dorthin wo die Palmen weiß und in Flammen getränkt sind."

 

Magnus Thorén weiß auf eine stupende Art und Weise eine ganze Klaviatur von Stilen anzuschlagen. Er versteht sich auf die schlie-renhafte Abstraktion oder das Allover aus tachistischen Flecken und Lichtphänomenen ebenso souverän wie auf monochrome, in sich strukturierte Malerei oder die gleichsam durch Nebelschwaden verschleierte Figuration. Und dennoch sind all diese eklektizistischen Spielarten des zeitgemäß Malerischen aus einer imaginären Quelle Thoréns genährt: „Der Ruine der modernen Zeit, die den Widerhall von Schwerkraft und Grazie erweckt", wie er es ausdrückt. Selbst seine pseudoromantischen Landschaften entfalten ihre atmosphärische Unstimmigkeit aus jenem merkwürdigen Schwebezustand einer giftig aufscheinenden Dystopie, die im Nirgendwo zwischen der Gegenwart und jahrhundertealten Epochen liegt. Damit gehört Thorén zu jener Reihe von zeitgenössischen Künstlern, die wie etwa Peter Doig oder Daniel Richter aus den symbolistischen Bildern von Edvard Munch, Pierre Bonnard und anderen Protagonisten des 19. Jahrhunderts irrlichternde Reflexe für ihre von aller Erdenschwere befreite, neosurreale Malerei beziehen. Halluzinativ macht auch Thorêns real unbegründbarer malerischer Kosmos den Eintritt in Traumzustände gewahr.

 

Zu Munch gibt es überdies noch facettenreichere Verbindungen. Während die Begeisterung des norwegischen Vorgängers für die seinerzeit unerhört neuen technischen Errungenschaften der Fotografie ebenso wie dessen Faszination für Röntgen- oder Sonnenstrahlen letztlich ein latentes Bekenntnis zur Moderne ausdrückten, geht Thorén den umgekehrten Weg. Ob er nun eher röntgenhafte oder eher lichtbildnerische Silhouetten umreißt, die vermeintliche fototechnische Ästhetik führt in das Phantomhafte des Daseins zurück. Dafür sprechen schließlich auch jene schemenhafte Bildnisse, die wie das kaum kenntliche, hauchzart lasierende Porträt von Marilyn Monroe gespenstisch an physignomische Abdrücke auf Leichentüchern erinnern. Wenn Thorén davon spricht, dass sich eigentlich „100 Bilder hinter jeweils einem Bild befinden", so will er damit nicht seine Werke als Malerei über Malerei verstehen wissen. Vielmehr deutet er an, dass ihre Anmutungsqualitäten blitzartig die Dunkelzonen des kollektiven Gedächtnis aufhellen. Es sind Illuminationen einer halb-gespenstischen, halbvertrauten Welt. Laut Thorén „Bilder der Heimsuchung, verblasst, verborgen, verzerrt." Wie aus einer inneren mal kalten, mal warmen Lichtquelle scheinen auch seine völlig gegenstandsfreien obskuren Himmelszenarien beleuchtet. Es ist, als hätte Thorén die minutiös nuancierten Nachtbil-der des Barockmalers Adam Elsheimer in eine letztlich doch religionsfreie Zone überführt. Das Mysterium des Lebens bleibt bei ihm abstrakt und ist in seiner Malerei „ein Freudenfest des ganzen grauenhaften Wunders".

 

Der einstige erbitterte Formalismussstreit zwischen Figuration und Abstraktion, wie ihn Kritiker nach dem 2. Weltkrieg ideologiege-sattigt führten, wirkt heute nur noch lächer. lich. Magnus Thoréns Malerei offenbart einmal mehr, dass diese Polarisierungen sich längst zu Splittern aufgelöst haben, dass ein und derselbe Maler sich sogar innerhalb eines Werks widerspruchslos zwischen den flirrenden Chimären des Materiellen bewegen kann. Sein Kosmos hält den kontinuierlich ephemeren Zustand unserer Welt in zwielichtigen Bildern wie als Abdrücke des Vergänglichen fest. Transformation ist das Schlüsselwort seines malerischen Zeremoniells, dem offenbar auch die Existenz von schwarzen Löchern als Übergang von der Materie zum Nichts keineswegs fremd ist. Oder, um es mit den Worten des Quantenphysiker Hans-Peter Dürrs aus-zudrücken: „Im Grunde gibt es Materie gar nicht. Jedenfalls nicht im geläufigen Sinne.

Es gibt nur ein Beziehungsgefüge, ständigen Wandel, Lebendigkeit. Wir tun uns schwer, uns dies vorzustellen. Primär existiert nur Zusam-menhang, das Verbindende ohne materielle Grundlage. Wir könnten es auch Geist nen-nen. Etwas, was wir nur spontan erleben und nicht greifen können. Materie und Energie treten erst sekundär in Erscheinung - gewissermaßen als geronnener, erstarrter Geist."

 

Birgit Sonna

Werke